Fallakte: Selbstfürsorge
Ich stehe auf der Türschwelle des ortsansässigen Familienbüros, in ein Gespräch vertieft mit wunderbaren Menschen, die ebenfalls am Wohlergehen von Familien interessiert sind. Auf meine Frage, wie unser Vorhaben in der Stadt Dinslaken ankommt, erhalte ich die ernüchternde Antwort:
„Bisher gibt es nur eine Anmeldung zu unserem Elterntalk zum Thema Selbstfürsorge. Wir warten nochmal ab, aber ich fürchte, dass dieser Talk nicht zustande kommen wird.“
Diese fehlende Resonanz spiegelt wider, was ich auch in meinem privaten und beruflichen Umfeld erlebe, wenn es um dieses Thema geht. Selbstfürsorge scheint für viele Menschen nur eine leere Worthülse zu sein, die keine Priorität hat.
Auch meine Business-Mentorin bringt es auf den Punkt: „Jenny, der Begriff Selbstfürsorge ist wie das Wort Sport. Alle wissen, dass es sinnvoll ist und gut tun würde, aber das Wort lockt niemanden so richtig hinter dem Ofen hervor.“ Ich denke über ihre Aussage nach und stimme ihr zu. Sport hat vielleicht sogar einen besseren Ruf, weil sportliche Menschen in unserer Gesellschaft als attraktiv und diszipliniert gelten – aber das ist ein anderes Thema.
Ich verstehe, dass Selbstfürsorge für viele schwer greifbar ist. Auch mir waren lange Zeit die wahre Bedeutung und die Auswirkungen von Selbstfürsorge nicht klar. Ich musste auf die harte Tour lernen, wie wichtig sie ist – als ich mich in einem Burnout wiederfand. Erstaunlich ist, dass ich damals noch nicht einmal Mutter war, und dafür bin ich heute unendlich dankbar.
In dieser Zeit, in der ich mit Unterstützung meinen inneren Tank wieder füllte – richtig füllte, nicht nur ein wenig, um weiterzumachen – lernte ich, dass Fürsorge nicht nur etwas ist, das Eltern ihren Kindern zukommen lassen, sondern ich als Erwachsene verantwortlich bin, für mein Wohlbefinden zu sorgen. Eigentlich logisch! Wer sonst sollte dafür aufkommen, wer sonst, sollte das noch zusätzlich leisten können?
Und doch, als ich mich umsah, wie andere Menschen das machen, gab es gar keine bis wenige Vorbilder, die Strategien zur Selbstfürsorge verfolgten. Also blieb mir nur: Learning by doing!
Heute, viele Jahre später, bin ich eine Expertin in Sachen Selbstfürsorge. Ich habe so viel über dieses Thema gelernt und mir die Haltung der “Gewaltfreien Kommunikation” erarbeitet. Ich empfinde es als unglaublich ermächtigend, selbst herauszufinden, was ich brauche, und Wege zu finden, mir diese Bedürfnisse zu erfüllen – das gelingt je nach Umstand mal mehr, mal weniger und der Lernprozess geht weiter, vermutlich ein Leben lang! Aber ich habe immer die Gewissheit, dass ich mich um mich selbst kümmere. Diese Verlässlichkeit, die ich mir selbst gegenüber entwickelt habe, kann mir niemand sonst geben.
Es ist wunderbar, Menschen in meinem Leben zu haben, die ein Interesse an meinem Wohlergehen haben und mitwirken, aber sie können nicht die komplette Verantwortung für meine Fürsorge übernehmen. Zumal dazu kommt: Wie soll ein anderer wissen, was ich brauche und was mir gut tut, wenn ich selbst meine Bedürfnisse gar nicht kenne und nicht so ernst nehme?
Es lohnt sich wirklich, sich mit dem Thema Selbstfürsorge zu beschäftigen. Dieses Thema hat so großes Potenzial für ein ausgewogenes Familienleben. Bedürfnisorientierung in der Begleitung von Kindern bedeutet nicht nur die Bedürfnisse des Nachwuchses zu beachten, sondern eben auch die der Eltern.
Mein Ansatz ist es euch zu informieren und euch sehr gerne aktiv zu unterstützen, wenn ihr das möchtet.
Gemeinsam finden wir auf BedürfnisDetektivin-Art heraus, was ihr braucht und wir schauen uns eure individuelle Familiensituation an, um passende Lösungen für euch zu finden.
Zunächst aber kommt der informative Teil: Schauen wir uns mal die Fallakte “Selbstfürsorge” an.
Füllen wir diese leere Worthülse doch mal mit Leben, praktischen Ansätzen und entschlüsseln, was es damit auf sich hat:
Was ist Selbstfürsorge?
Selbstfürsorge bedeutet, sich bewusst und aktiv um die eigenen körperlichen, emotionalen und geistigen Bedürfnisse zu kümmern. Es geht darum, Maßnahmen zu ergreifen, die eine innere Balance herstellen, der Gesundheit dienen und Lebensfreude erhalten oder gar verbessern. Ganz praktisch bedeutet das:
Warum ist Selbstfürsorge wichtig?
- Gesundheit: Selbstfürsorge hilft uns, gesund zu bleiben. Pausen und Erholungszeiten stärken unser Immunsystem und reduzieren das Risiko stressbedingter Krankheiten.
- Stabile Gemütsverfassung: Regelmäßige Auszeiten helfen uns, mit den Höhen und Tiefen des Alltags besser umzugehen, ruhiger sowie ausgeglichener zu bleiben und Herausforderungen auch mal mit Humor zu entschärfen.
- Bessere Beziehungen: Wenn es uns gut geht, wirkt sich das positiv auf unsere Beziehungen aus. Wir können geduldiger und liebevoller auf unsere Familie und andere Menschen eingehen und haben mehr Energie auch anderen bei ihrer Bedürfniserfüllung zu helfen. Insbesondere unsere jüngeren Kinder sind genau darauf auch angewiesen.
- Mehr Lebensfreude: Selbstfürsorge steigert unsere Lebensqualität und Lebensfreude, was für mehr Energie und Zufriedenheit sorgt.
- Vorbildfunktion: Indem wir Selbstfürsorge praktizieren, inspirieren wir andere – besonders unsere Kinder – dazu, gut für sich selbst zu sorgen, sobald sie dazu in der Lage sind.
Was hindert uns daran, fürsorglich mit uns umzugehen?
In unserer Leistungsgesellschaft gibt es viele Hindernisse für Selbstfürsorge. Besonders für Eltern ist es herausfordernd, sich um sich selbst zu kümmern, wenn so viele Aufgaben auf so wenigen Schultern lasten. Fehlende Unterstützung, Zeitmangel und Erschöpfung sind häufige Hindernisse. Viele Eltern haben das Gefühl, keine Zeit für sich selbst zu finden.
Auch Schuldgefühle, perfektionistische Erwartungen und kulturelle Normen spielen eine Rolle. Oft glauben Eltern, besonders Mütter, dass sie sich selbst an letzter Stelle platzieren müssen und bekommen es von der Wiege an so vorgelebt. Dies führt zu einem Mangel an Selbstachtung und Unkenntnis darüber, was in einer Pause wirklich gut tun würde.
“Pause!”, was wäre denn eigentlich eine gute Pause? Viele Menschen versacken in einem ruhigen Moment oft vor dem Handy. Zack, da ist der Moment auch schon vorbei, in denen nun viele Likes verteilt, sinnlose Reels und viele unnütze Informationen aufgesogen wurden, vielleicht ist jetzt auch der Online-Einkauf nebenbei schon erledigt, aber eine Pause, die Erholung und innere Verbindung geschaffen hätte, war das nicht.
Es ist also nicht überraschend, dass Selbstfürsorge für viele schwierig ist und der Gedanke, sie in ein ohnehin schon volles Leben zu integrieren, einschüchternd wirken kann.
5 Tipps zur gelingenden Selbstfürsorge
Stellt euch das Szenario eines Flugzeug-Notfalls vor: Wenn der Druck in der Kabine abfällt, fallen die Sauerstoffmasken von der Decke. Wir werden dazu aufgefordert, die Maske zuerst uns selbst aufzusetzen, bevor wir anderen helfen. Nur so können wir überhaupt in der Lage sein zu helfen. Was bringt es, uns aufzuopfern, nur um am Ende so erschöpft zu sein, dass wir niemandem wirklich beistehen können?
Lasst uns also darüber nachdenken, wie ihr euch eine gute Selbstfürsorge-Routine schaffen könnt:
Es gibt leider keine universellen Lösungen, da jeder Mensch mit unterschiedlichen Erfahrungen, Prägungen, Bedürfnissen und Lebensumständen startet. Jede Route zu einer passenden Selbstfürsorge-Strategie sieht daher anders aus – das ist zwar spannend, kann aber auch herausfordernd sein. Dennoch gibt es einige Tipps, die du direkt anpassen und umsetzen kannst.
Tipp 1: Frühaufstehen oder Spätaufbleiben
Entscheidet, auf euer Familienleben abgestimmt, ob ihr eine ruhigere Morgenzeit habt oder ob bei euch abends schneller Ruhe einkehrt.
Nutzt die Zeit bevor eure Familie aufsteht z.B. für einen Morgenspaziergang oder einfach für das Genießen eines Lieblingsheißgetränks.
Falls eure Kids abends gut ins Bett kommen, parkt euch nicht automatisch vor der Flimmerkiste, sondern macht aktiv etwas, das euch wirklich nachhaltig Energie schenkt. Das kann ein Spaziergang sein, eine Runde Sport, journaln, Werken etc. Findet heraus, was euch auflädt.
Tipp 2: Wechselnde Betreuung
Richtet euch feste Zeiten ein, indem ihr euren Herzensmenschen (und er im Gegenzug euch) Me-Time verschafft. Gebt der Zeit einen Namen wie z.B.: “Papa-Kind(er)-Zeit”. So weiß euer Kind, wer gerade zuständig ist, dass der andere Elternteil in der Zeit nicht verfügbar ist und sich um sich kümmert.
Praktisch ist es natürlich, wenn ihr Unterstützung von außen habt. Großeltern, Nachbarn, Freunde oder eine bezahlte Kinderbetreuung könnten euch ebenfalls zusätzliche Freizeit verschaffen und könnten sogar zu einer gemeinsamen Paarzeit beitragen, aber das ist ein anderes Thema. Hier geht es erstmal um Selbstfürsorge.
Tipp 3: Mini-Auszeiten
Findet heraus, was für euch am besten funktioniert. Vielleicht helfen euch bewusste Atempausen. Um euch daran zu erinnern, könnt ihr Zettel mit dem Wort “Atmen” an gut sichtbaren Orten in eurem Zuhause aufhängen, wie an der Spülmaschine oder der Kaffeemaschine. Ihr könnt euch auch angewöhnen, bei jeder roten Ampel oder in der Supermarktschlange ein paar bewusste Atemzüge zu nehmen.
Ich empfehle euch zudem, achtsam die “Alltagsmomente” zu nutzen. Sei es während des Mittagsschlafs eures Babys, wenn euer Kind selbstständig und zufrieden spielt, oder am Esstisch, nachdem die Kinder aufgestanden sind: Nutzt diese kleinen Gelegenheiten, um in euch hineinzuspüren und bewusst zu atmen. Schon ein paar Minuten können einen Unterschied machen.
Tipp 4: Rituale
Legt feste Zeiten für eure Pausen fest, zum Beispiel nach einer gemeinsamen Snackpause. Erklärt euren Kindern, dass ihr in dieser Zeit eine Pause macht und nur in dringenden Notfällen angesprochen werden möchtet. Vereinbart eine Dauer für diese Pause (anfangs eher kurz, später kann sie ausgedehnt werden) und macht sie für eure Kinder sichtbar, indem ihr beispielsweise eine Sanduhr aufstellt oder einen Timer stellt.
Es kann sein, dass eure Kinder anfangs etwas Unterstützung brauchen, um sich selbst zu beschäftigen. Wahrscheinlich wird es nicht sofort reibungslos funktionieren, aber bedankt euch nach der Pause bei euren Kindern für die Zeit, die ihr hattet, und bleibt konsequent. Mit täglicher Übung und kleinen Anpassungen wird dieses Zeitfenster bald ein fester Bestandteil eurer Selbstfürsorge-Routine sein.
Tipp 5: Planung und Struktur
Macht eine gemeinsame Wochenplanung und plant feste Zeiten im Tagesablauf oder an bestimmten Tagen direkt für euch mit ein. Nehmt sie ebenso wichtig wie einen Notar-Termin. Muss der Termin wirklich mal ausfallen, plant einen Nachholtermin.
Erstellt euch Listen. Listen können euch einen guten Überblick verschaffen und helfen euch, Prioritäten weise zu wählen.
Mir hat es sehr geholfen, auch eine Liste mit Dingen, die mir gut tun, zu erstellen. Wenn sich spontan ein Zeitfenster ergab, konnte ich etwas von der Liste auswählen und brauchte nicht lange überlegen.
Niemand sagt, dass es einfach ist, aber es ist möglich – und es ist von unschätzbarer Bedeutung.
Ein schwedisches Sprichwort besagt sinngemäß: „Wenn jeder für sich sorgt, ist für alle gesorgt.“ Wie wundervoll und bereichernd wäre es, wenn wir dieses Prinzip in unser oft turbulentes Familienleben integrieren könnten.
Ob du dich im Alleingang für deine Bedürfnisse stark machst, dir Hilfe bei einem Herzensmenschen suchst oder mich als deine Bedürfnis-Detektivin und Verbündete an deine Seite holst: Nimm die blockierenden und sabotierenden Umstände unter die Lupe. Schau, was du brauchst, und finde Wege, um dir deine Fürsorge zu ermöglichen.
Fakt ist: Niemand anderes macht das für dich! So hart es auch klingt, niemand außer dir kann diese Verantwortung übernehmen.
Mache dich selbst zum Profi deiner Bedürfnisse. Ich erlebe das als sooooo erfüllend, empowernd und zufriedenstellend und bekomme das auch genauso zurückgemeldet. Das wünsche ich mir auch für dich!
Ich hoffe, dass du aus diesem Fall hilfreiche Inspirationen mitnimmst und ich einen Beitrag leisten konnte, dass die Worthülse “Selbstfürsorge” einen besseren Ruf bekommt.
Seid gut zu euch!
Eure BedürnisDetektivin